Kinder besser verstehen: Warum ist das so wichtig?

17. Juli 2020

Kurz gesagt: damit ihr auf dieses Verhalten wirklich konstruktive Antworten finden könnt.
Ihr könnt euch das so vorstellen: Das Verhalten eures Kindes ist die Spitze eines Eisberges. Darunter liegen Ängste, Wünsche und Bedürfnisse, z.B. das Bedürfnis, von euch gesehen zu werden. Es ist unglaublich wichtig, dieses Bedürfnis zu kennen, denn nur wenn sich das Kind in seinem Bedürfnis zumindest gesehen fühlt (ihr müsst und könnt sicherlich nicht alle Bedürfnisse befriedigen), “braucht” es das Verhalten nicht mehr.

Wenn ihr versuchen würdet, z.B. durch bestrafen, schimpfen, belohnen, das Verhalten eures Kindes zu ändern, ohne das Bedürfnis dahinter zu sehen, habt ihr vielleicht oberflächlich Erfolg. Das Bedürfnis jedoch bleibt unerfüllt. Das macht euer Kind immer noch traurig, wütend, frustriert. Und diese Trauer, Wut, Frustration muss irgendwohin. Entweder entsteht ein neues Verhaltensmuster, das euch vielleicht noch weniger gefällt, oder sie richtet sich irgendwann gegen euer Kinder selbst. Daher ist es so, so wichtig, das Bedürfnis hinter dem Verhalten zu sehen, euer Kind besser zu verstehen, zu erkennen, was es eigentlich braucht. Nur so gelingt nachhaltige Konfliktlösung, nur so könnt ihr auf euer Kind/euren Jugendlichen eingehen und für ihn/sie da sein.Gerade hinter aggressivem Verhalten steht oft ein unerfülltes Bedürfnis

Aggressives Verhalten ist hierfür ein gutes und auch berührendes Beispiel. Gerade aggressive, laute, fordernde Kinder sind oft unsicher und sensibel. Was sie bräuchten wäre Liebe, Geborgenheit, Hilfe und Begleitung im Umgang mit ihren starken Emotionen und das Gefühl, gut so zu sein, genauso wie sie sind. Wenn wir aber nur die Aggression verändern, “weghaben” wollen, beginnen wir vielleicht mit endlosen Diskussionen und Erklärungen, die nicht ankommen – weil sie gerade kleinere Kinder noch nicht vollends verstehen können, und Jugendliche wiederum das Problem haben, dass sie in der Pubertät Konsequenzen nicht rational abschätzen können. Wir kommen mit Strafen, “Konsequenzen”, schimpfen, streiten.

All diese Dinge werten das Kind weiter ab, das ohnehin schon Probleme mit seinem Selbstwert hat. Es bekommt genau das Gegenteil von dem, was es bräuchte. Statt Liebe, Zuwendung, Beziehung, Geborgenheit, Begleitung und Unterstützung bekommt es Abwertung und das Gefühl, irgendwie “falsch” zu sein. Entweder verstärkt sich die Aggression daraufhin und/ oder sie richtet sich nach innen (Autoaggression).

Auch wenn die Aggression – nach außen hin – aufhören sollte, bleibt ein verlorenes Kind, ein verlorener Jugendlicher zurück, denn das Bedürfnis ändert sich nicht durch Er-ziehung. In diesem Szenario ist eigentlich niemandem wirklich geholfen.

Daher ist es so unglaublich wichtig, das Bedürfnis zu sehen, das hinter dem Verhalten steckt. Wieso verhält sich mein Kind so-und-so und nicht anders? Hier spielen neurobiologische und entwicklungspsychologische Vorgänge ebenso eine Rolle, wie das Wissen um Integrität und Kooperation. In der Elternberatung und Familienberatung ist genügend Raum, um sich das Bedürfnis hinter Verhaltensweisen anzusehen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses anerkannt und im besten Fall erfüllt wird. Diese Momente sind wahnsinnig wertvoll. Wenn Eltern merken, ihr Kind macht das nicht, weil es provozieren und ärgern will, sondern weil es nicht anders kann. Weil es überfordert ist, weil es traurig oder wütend ist. Weil es nicht (genug) gesehen wird. Das sind genau die Punkte, an denen ihr sehr gut arbeiten könnt und die am allermeisten und vor allem am nachhaltigsten Erleichterung, Harmonie, Liebe und Wertschätzung in euer Familienleben bringen.